Elfstedentocht 2014

Wie immer fand die größte Breitensport-Ruderveranstaltung der Niederlande am langen Christi Himmelfahrt Wochenende statt. Bei sehr guten äußeren Bedingungen – sonnig, trocken und mit maximal 3 bis 4 Windstärken für friesische Verhältnisse quasi windstill – lockte die 29. Ausgabe des „Elfsteden Roeimarathon“ eine Rekordzahl von 107 Mannschaften an, welche die 208 km lange Strecke in gesteuerten C-2x+ in Angriff nahmen. Eigentlich ist das Rennen ein Staffel-Wettbewerb für 12er-Mannschaften. Doch für die Freunde der kontinuierlicheren Bewegung ohne Belastungsspitzen gibt es auch noch die Alternative der „Bullenklasse“: In ihr rudern die aus genau einer Bootsbesatzung, sprich 3 Personen, bestehenden Teams die komplette Strecke durch. 6 Mannschaften waren bereit für diese besondere Herausforderung, darunter auch ich (Matthias Auer) als RCN-Repräsentant zusammen mit den Kollegen Ulf Hintze vom Stuttgart-Cannstatter Ruderclub und Sebastian Frohn vom Karlsruher Rheinklub Alemannia (KRA). Ein konkurrenzfähiges Boot wurde beim KRA gefunden, über den auch die Logistik lief. Schon seit einigen Jahren ist die Elfstedentocht/Elfstädtetour ein fester Bestandteil im Alemannia-Kalender, und auch dieses Mal war der Club in 3 Mannschaften verschiedener Klassen vertreten.

Die Faszination der Elfstedentocht ist nicht nur im sportlichen Wettkampf gegründet. Gerade bei den weitangereisten Teilnehmer – immerhin kamen 15 Teams aus dem Ausland, größtenteils aus Deutschland – kommt trotz aller sportlicher Ambitionen immer ein wenig Urlaubsfeeling auf, wenn von Donnerstag bis Sonntag wahre Zeltstädte auf der „Froskepôlle“ entstehen. Diese wildromantische, direkt beim veranstaltenden LRV Wetterwille gelegene Insel wird trotz ihres Naturreservatcharakters immer zum (kostenlosen) wilden Campen frei gegeben, was insbesondere von den deutschen Gästen ausgiebig genutzt wird. So herrschte bereits am Donnerstagabend reges Treiben und es lag allerorts Grillduft in der Luft.

Freitag ist Wettkampftag, wobei eigentlich der Samstag den Hauptrudertag bildet. Denn bei der Elfstedentocht wird ab 20:00 Uhr abends in die Nacht hinein gerudert, zunächst vom Start- und Zielpunkt Leeuwarden nach Dokkum und auf anderem Wege nach Leeuwarden zurück. Von dort geht es dann in einer großen Runde im Uhrzeigersinn durch die anderen 9 friesischen Städte Sneek, Ijlst, Sloten, Stavoren, Hindeloopen, Workum, Bolsward, Harlingen und Franeker, um schließlich von Westen her wieder beim LRV Wetterwille in Leeuwarden anzukommen. Für die normalen Staffelteams bedeutet das nicht nur 17 Stunden (Rekordzeit) bis 24 Stunden (erlaubte Maximalzeit) intensives Rudern sondern auch vielfaches, möglichst schnelles Austauschen der Bootsbesatzungen an geeigneten und auch weniger geeigneten Stellen. Diesbezüglich haben die Bullen einen großen Vorteil – gewechselt werden kann immer und überall, wie es halt der Zeit-/Wechselplan (bei uns alle 40 Minuten) vorgibt. Nur sollte man natürlich nicht gerade unter einer extrem flachen Brücke (die geringsten Höhen liegen bei ca. 70 cm!) oder einem sehr schmalen Kanalabschnitt (z.T. weniger als die Spannweite der Blätter!) Plätze tauschen, insbesondere wenn gerade ein nachfolgendes Team drängelt. Ein großer Nachteil der Bullenklasse ist hingegen, dass das Boot für die Dauer der Regatta Vorratskammer, Esszimmer, Wohnzimmer und WC ist und sich mit Fortdauer des Wettbewerbs immer mehr in eine fahrende Müllhalde verwandelt…

Allen Klassen gemeinsam ist, dass die Boote gut präpariert sein wollen. Dazu gehört die Sicherausstattung für potentielles schweres Wasser auf den bis zu 3 km langen Seeüberfahrten: Die Boote müssen abgeklebt sein, über Abdeckungen verfügen und Auftriebskörper von mindestens 150 Liter aufweisen. Zudem müssen Rettungswesten an Bord sein und auf den Seepassagen getragen werden. Zur Pflichtausstattung gehört auch eine Beleuchtungsanlage, bestehend aus Positionsleuchten vorn und hinten sowie Suchscheinwerfer. Desweiteren werden erfahrungsgemäß viele persönliche Gimmicks ein-/angebaut, die das Rudern und Steuern angenehmer und effizienter machen oder die Wechsel beschleunigen. Mit den ganzen Präparations- und Einstellungsarbeiten, Probefahrten, Wechseltests und der finalen Sicherheitsabnahme durch den Veranstalter geht der Freitag schnell vorüber. Für Vorbereitung und Einnahme der Henkersmahlzeit in Form des unvermeidlichen Pasta-Gerichts und ein kurzes Vorbereitungs-Nickerchen bleibt schlussendlich immer weniger Zeit, als man denken würde.

Ab etwa 18:00 Uhr begaben sich die ersten Mannschaften auf Wasser, um vom LRV Wetterwille zum knapp 6 km entfernten Start im Herzen von Leeuwarden zu rudern. Dort war, wie immer zum Start des Events, Volksfeststimmung. Diese wird nicht nur von der großen Anzahl der gerade nicht in den Booten befindlichen Mannschaftsmitglieder erzeugt, sondern das Rennen wird in den Niederlanden auch von der nicht direkt involvierten Bevölkerung mit Interesse wahrgenommen. Da hilft dann vielleicht doch der große Name „Elfstedentocht“ basierend auf dem Eisschnelllauf-Mythos, welcher der Ruderveranstaltung zugrunde liegt und der selbst leider schon seit 1997 infolge zu geringer Eisdicken nicht mehr durchgeführt werden konnte.

Pünktlich um 20:00 Uhr fiel der Startschluss und die Boote wurden im 15- bis 20-Sekundenabstand auf die Runde geschickt: Zuerst die schnellsten Kategorien der offenen Männer (24 Boote) und MDA36-Männer (9 Boote), gefolgt von den 4 Damen-Teams und den 29 Teams der am zahlreichsten besetzten Kategorie der Mixed-Wettbewerbs. Wir gingen 20:21 Uhr mit der Startnummer 74 als viertes von 6 Bullenteams ins Rennen und hatten im Rücken noch 7 Teams der „Bullen-light-Klasse“ (Crews mit 6 harten, aber halt nicht ganz sooo harten Mitgliedern) und 28 mehrheitlich mit dem olympischen Gedanken an den Start gehende Teams der Tourenklasse. Die erste Aufgabe war, hinsichtlich des Klassensiegs ein Zeichen zu setzen und der unmittelbar vor uns gestarteten, starken Konkurrenz der Rheinmarathon-Sieger aus Neuwied frühzeitig den Schneid abzukaufen. Während die Lücke relativ rasch zugefahren werden konnte, musste bis zum Überholmanöver bis zum Ende des eher engen Stadtkurses gewartet werden. Dann aber gelang der Überholvorgang bei optimaler Besetzung (maximale PS an den Skulls, minimales Gewicht auf dem Steuerplatz) in der beabsichtigten Weise: die Gegner waren nachhaltig beeindruckt, wie sie nach dem Rennen bestätigten. Die 22 km bis zur ersten Stempelstelle in Dokkum gerieten aufgrund der hohen Verkehrsdichte sehr kurzweilig – es gab noch jede Menge Opfer auf der Strecke, in sehr seltenen Fällen wurden wir überholt oder zurück überholt. So waren z.B. die „leichten Bullen“ der Rgm. um die Karlsruher Alemannia nicht dauerhaft zu halten. Eine erste nachhaltige Verzögerung gab es auf dem Rückweg an der superflachen Brücke in Dokkum, die weder Rudern noch zweispurigen Verkehr zulässt: Stau! Sehr ärgerlich, wenn man bedenkt, wie viel man investiert hat, um die hier wieder verlorenen ca. 2 Minuten herauszufahren. Bei zunehmender Dunkelheit lief es nach Leeuwarden zurück weiterhin sehr gut: oft überholten wir, selten wurde wir überholt. So richtig mit bekamen wir die Rennsituation in dieser dunklen Phase des Rennens nicht mehr – wir hofften einfach, dass die direkte Klassenkonkurrenz nicht unbemerkt zurückschlug. Wie wir später in der Ergebnisliste sehen sollten, hatten unser fulminanter Beginn und die komplizierte Wechselsituation für die 12er-Teams (man kann nur an ausgesuchten Plätzen wechseln, an denen es sich in der Anfangsphase des Rennens ganz schön knubbelt) uns beim Passieren des Kontrollpunkts in Leeuwarden um 00:48 Uhr auf einen 10. Platz im Zwischenklassement gespült, fast 9 Minuten vor der Neuwieder Renngemeinschaft.

Die Fahrt in Richtung Süden war bis auf die winkelige Ortsdurchfahrt von Sneek zwar eher simpel, wurde aber immer wieder durch Nebelschwaden erschwert und erforderte ständig höchste Aufmerksamkeit. Kurz nach Ijlst krachte neben uns auf breiter, freier Strecke ein Boot volle Möhre in unmotiviert rumstehende Holzpfähle – Mund abgewischt und weiter ging´s. Inzwischen hatten sich die Kräfteverhältnisse verschoben und wir wurden deutlich häufiger überholt als dass wir überholten. Es lief aber weiterhin sehr gut bei einem schönen Rhythmus von 23 bis 24 Schlägen pro Minute. Erste Probleme traten dann jedoch am frühen Morgen auf: Eine bekannte Schwachstelle in Sebastians Rücken meldete sich vehement und ließ vollen Krafteinsatz nur noch bedingt bzw. unter größeren Schmerzen zu. Nicht gerade ermutigend, war doch Ausgang des „Slotermeers“ streckenmäßig gerade mal Halbzeit. So mussten wir nicht nur wegen der anspruchsvollen Strecke mit vielen schmalen, teils sehr seichten Passagen auf der Strecke nach Stavoren und danach in Richtung Norden ganz schön beißen. Opfer gab es mittlerweile keine mehr bzw. vielmehr nahmen wir mittlerweile diesen Part ein und mussten das eine oder andere Mal Platz für schnellere Teams machen. Ermutigend war aber, dass die Staffelteams nicht rapide weg fuhren und wir durch unsere Vorteile bei den Wechseln netto nur wenig an Boden verloren. Kurz vor dem nordwestlichsten Punkt bekamen wir endlich die erlösende Mitteilung von den Bonner Kameraden, dass wir ca. 13 Minuten vor ihnen lägen und der direkte „Klassenfeind“ aus Neuwied noch dahinter wäre. Also auf den letzten 40 km noch mal die Ä….. zusammenkneifen und das Ding konzentriert nachhause fahren. Nach dem Gegenwind auf dem Weg nach Norden überwog auf dem letzten Stück von Harlingen zum Ziel wieder schiebender Wind, und das nahende Ende der Quälerei setzte zusätzlich noch mal Kräfte frei. So hielt sich das Eingeholtwerden in dieser finalen Phase, wenn alle 5 oder 6 Besatzungen der Staffelteams noch mal alles in ihre letzte persönliche Etappe legen, in Grenzen. In einem 5km-Endspurt gegen die lieben Kollegen vom Bonner RV, die an der Strecke immer wieder aufmunternde Worte für uns gehabt hatten, konnten wir sogar noch unseren Platz im Gesamtklassement vor eben diesen behaupten.

Nach 20:17:11h waren wir im Ziel und durften uns nach längerer Abstinenz wieder über festen Boden unter den Füßen freuen. Wir belegten damit im Gesamtklassement den 29. Platz und haben die Bullen-Klasse in neuer Streckenrekordzeit klar gewonnen. Wir lagen schlussendlich 35 Minuten vor den Kollegen aus Neuwied, bei denen es insgesamt auch gut gelaufen war, die aber ebenfalls mit gesundheitlichen Einschränkungen in Form eines Ruderers mit Knieproblemen zu kämpfen hatten und zudem noch ein ganz spezielles Handicap hatten: wer im Boot nicht Pinkeln kann, der ist ganz einfach schlechter dran! ;-)

Der Gesamtsieg ging bereits zum 5. Mal in Folge an eine Renngemeinschaft um den Asser Ruderclub. Mit 17:04 Stunden blieben sie 5 Minuten über ihrem eigenen Streckenrekord, gewannen aber sehr überlegen mit 33 Minuten Vorsprung vor einer 5-Vereine-Renngemeinschaft mit einigen Alt-Internationalen an Bord, welche die MDA36-Klasse für sich entschieden. Das schnellste Mixed-Team war jenes vom RIC Amsterdam, das in 18:21 Stunden den 5. Gesamtplatz belegte. Die Kollegen vom Karlsruher Rheinklub Alemannia holten einen weiteren Klassensieg nach Deutschland, indem sie die Buiten6-Klasse in 19:28 Stunden gewannen, gleichbedeutend mit einem vorzüglichen 11. Platz gesamt. Das Karlsruher Tour-Team blieb knapp unter 22 Stunden und belegte einen Platz im Mittelfeld der Tour-Wertung bzw. den 69. Gesamtplatz.

Während die Jungbullen die Strapazen und den Schlafmangel offenbar ganz gut weggesteckt hatten, verfiel der Bootsälteste (der wo ich bin ;-) ) alsbald in einen komaähnlichen Zustand, aus dem er nur mit Mühe für die Ehrung der Bullenklasse-Sieger zurückgeholt werden konnte. Dann wollte aber das Catering-Büffet des Veranstalters doch noch schmecken und wir ließen alle gemeinsam den harten Arbeitstag gemütlich, wenn auch nicht mehr besonders lange in der KRA-Zeltstadt ausklingen. Nach einer längeren Nacht und einem ausgiebigen Brunch ging es ans Zusammenpacken und die deutsche „Belagerung“ der Froskepôlle wurde aufgehoben. Allerdings nur temporär: Wir kommen im nächsten Jahr wieder – versprochen!

Das Bullenteam beim Start in Leeuwarden

Circa 24 Stunden später mit dem Lohn für getane Arbeit: Matthias, Sebastian Frohn und Ulf Hintze

Die Route der Elfstedentocht (aus GoogleMaps)

Impressionen vom Rennen: Collage aus Bildern von Erwin Lindeboom

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