Mit ein paar Bojen ist es nicht getan

Andreas Winkelmann sitzt am Sonntagnachmittag auf dem Auflieger eines Lastwagens, schaut hochkonzentriert auf sein Notebook, prüft Sequenz für Sequenz die Zieleinfahrt-Filmaufnahme eines gerade zu Ende gegangenen Rennens. Auch diesmal lässt sich das finale Geschehen anhand des Bildmaterials exakt auflösen: Das Siegerboot steht zweifelsfrei und schnell fest.

„Wenige Zentimeter entscheiden im Rudern oft über Erfolg und Misserfolg“, betont Andreas Keller, Zweiter Vorsitzender des RCN. Umso wichtiger sei der Blick auf solche Details. Andreas Winkelmann – einer von jenen rund 100 Helfenden, die bei der diesjährigen Herbstregatta auf dem Neckar zwischen Nürtingen und Neckarhausen ihren ehrenamtlichen Job machen.

20 Personen mehr als zu Vor-Coronazeiten müssen ran, um das Veranstaltungswochenende zu stemmen, heißt es seitens des RCN. Beispiele für Zusatzjobs: Der Neckarradweg muss umgeleitet, die Einhaltung der Hygienevorgaben kontrolliert (auf dem Gelände herrscht Maskenpflicht), die Abläufe in den Umkleiden gemanagt werden. So gilt für den Kabineneintritt Kartenpflicht. Nur mit einem speziellen Kärtchen darf man rein, beim Rausgehen muss dieses wieder abgegeben werden. So behält der Veranstalter den Überblick, wie viele Leute sich gleichzeitig im Raum befinden.
Nicht nur wegen solcher Details steigt der bürokratische Aufwand. Für jede Sportlerin und jeden Sportler muss im Vorfeld die 3-G-Regelung gecheckt werden. Wenigstens gehe das mittlerweile digital, meint Frank Maier. „Vier Wochen vor der Veranstaltung beginnt der Aufbau“, berichtet der seit rund einem Vierteljahrhundert als Regattaleiter tätige, sturmerprobte Nürtinger. Wer meine, dass die Vorarbeit mit dem Befestigen einiger Bojen getan sei, befinde sich auf dem Holzweg. „Es geht schlichtweg darum, aus dem Neckar in wenigen Wochen eine Regattastrecke zu machen“, sagt Maier, der zusammen mit Sebastian Werner, Philipp Nadler und Ulrich Kaeswurm am Regiepult sitzt.
Ob es darum gehe eine Startbrücke zu befestigen, das vereinseigene Schiedsrichter-Boot startklar zu machen sowie zwei weitere auszuleihen, technische Voraussetzungen für den Ampelstart zu schaffen, die Ufer-Standplätze für die einzelnen Boote auszulosen oder Pavillons im Zielgelände zu platzieren – die Artenvielfalt der Aufgaben beeindruckt.

Die Nürtinger gelten in der Szene als mutig. Im Corona-Anfangsjahr 2020 organisierten sie am Neckar die einzige Regatta in Baden-Württemberg. Die Pandemie-Auflagen seien zwar „heftig gewesen“, erinnert sich Andreas Keller, der Zulauf an Ruderinnen und Ruderern trotz Krise jedoch enorm. Zuschauer waren damals jedoch kein Thema. Was einen Rückgang der Catering-Einnahmen um rund 75 Prozent im Vergleich zu 2019 zur Folge gehabt habe.

In diesem Jahr stellt sich die Lage für den Ruderclub deutlich günstiger dar. Besuch darf wieder ran ans Ufer. Zwar maskiert, aber durchaus auch am geselligen Teil interessiert: Die Dutzenden Biertische am Ruderclub-Haus sind bei angenehmen Spätsommerwetter mit Temperaturen um 20 Grad und Sonne-Wolken-Mix Samstag wie Sonntag gut besetzt. Vergessen die Herbstregatten, bei denen es in Strömen regnete oder die Veranstaltung wegen eines Gewittersturms gar für Stunden unterbrochen werden musste. „Wir sind erleichtert, dass wir diesmal eine so gute Wetterphase erwischt haben“, betont Andreas Keller.

Die Sportlerinnen und Sportler haben derweil nicht nur Freude an der meteorologischen Lage, sondern auch über die willkommene Startgelegenheit. Charlotte Arold zum Beispiel, RCN-Nachwuchsruderin, am Wochenende unter anderem im Doppelvierer mit Sportlerinnen des Ulmer Ruderclubs unterwegs. „Vor einer Woche bin ich in Villach 1500 Meter gefahren, da kommt mir ein Sprintrennen in Nürtingen über 500 Meter gerade richtig“, berichtet die B-Juniorin, nachdem sie mit ihrer Vereinskolleginnen Annika Weiß und Steuerfrau Sarah Raisch sowie den Ulmerinnen Greta Kovacs und Nuria Denkinger-Rueda das Rennen Nummer 250 gewonnen hat. Kein Zufall der Triumph, alle sind regelmäßig Topplatzierte bei Deutschen Meisterschaften.
Wie die fünf in einem Boot landeten? „Wir kannten uns vom Namen, haben dann über WhatsApp vor der Herbstregatta den Kontakt hergestellt“, berichtet Annika Weiß. Offenbar eine gute Wahl. „Es macht Spaß, hier mit den Nürtingerinnen zu fahren“, sagt Greta Kovacs, ehe sie von Gisbert Zahn mit ihren Kolleginnen am Steg für den Sieg ausgezeichnet wird. Der Erste Vorsitzende zeigt sich im Jahr des hundertjährigen Clubbestehens stolz ob der Tatsache, dass der Verein zum zweiten Mal in der Coronakrise die Herbstregatta schultert. „Es ist ein Berg, aber den schaffen wir weg“, lobt Zahn, die Regatta schaffe Zusammenhalt.

Dass der Tag im Beisein von Nürtingens Oberbürgermeister Johannes Fridrich mit dem spektakulären Sieg des Nürtinger Achters vor der Renngemeinschaft Stuttgart/Waiblingen/Leverkusen/Esslingen endet, sorgt für eine passgenaue Schlusspointe.

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29.09.2021 || Bericht: Reimund Elbe || Fotos: Andreas Keller

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