Olympiasieger zu Gast in Nürtingen

Der Ruderclub Nürtingen erhält dieser Tage prominenten Besuch. Hans Gruhne, Olympiasieger von Rio de Janeiro und Weltmeister des Jahres 2015 im deutschen Skull-Doppelvierer, hat sich während seines dreiwöchigen Urlaubs mehrmals angesagt. Das Ganze hat familiäre Gründe.

Andreas Keller musste nicht lange überlegen. Als der stellvertretende Vorsitzende des Ruderclubs Nürtingen die E-Mail von Theresa Romer las, da war rasches Handeln nur noch Formsache. Romer ist die Lebensgefährtin von Hans Gruhne, dem Skullruderer, der seit Juniorenzeiten in diversen Bootsgattungen Dauergast auf dem Podium bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften ist. Sie hatte angefragt, ob sich ihr Freund beim RCN fithalten, die dortigen Trainingsmöglichkeiten nutzen könnte. „Ich habe schnell reagiert“, sagt Keller und lacht. Denn: Natürlich kann er das.

Eine Trainingseinheit pro Tag, zwischen 60 und 90 Minuten lang, absolviert der seit Mittwoch 32-Jährige auch während seines Urlaubs. Laufen, Radfahren, Krafttraining und „eventuell auch Ergo“ gehören zum Pensum, erzählt er am Dienstag, seinem ersten Tag in Nürtingen. An dem wollte er sich auf seinem neuen Trainingsgelände umschauen und einfach mal blicken lassen. „Es geht auch darum, Leute kennenzulernen“, sagt Gruhne. Er wolle schließlich nicht nur alles nutzen und dann wieder gehen.

Aus dem zunächst gelegentlichen Training könnte künftig vielleicht sogar etwas mehr werden. Der Lebensmittelpunkt von Gruhne, Romer und dem eineinhalbjährigen Töchterchen Amelie wird sich schließlich in nicht allzu langer Zeit von Potsdam Richtung Süden verlagern. In Nabern, dem Geburtsort von Gruhnes Freundin, hat die junge Familie sich ein Haus gekauft, das sie hoffen, noch dieses Jahr beziehen zu können. Dort ist auch „der Familienanschluss an Oma und Opa gewährleistet“, erzählt Theresa Romer, die selbst mit ihrer Tochter schon wieder in ihrer Heimat wohnt. Der Papa soll alsbald folgen, doch das eigentlich für dieses Jahr eingeplante Karriereende wurde noch mal um mindestens ein Jahr verschoben.
„Ich habe auch wegen der familiären Situation lange überlegt und war schon quasi auf Abschiedstour“, gibt Gruhne Einblicke in die angedachten Planungen. Olympia in Tokio wären nach 2008 in Peking und vor vier Jahren in Rio seine dritten Spiele gewesen – und ein schöner Schlussstrich unter ein imposantes Rudererleben. Am längsten gehört er zum Nationalteam, 2007 wurde Hans Gruhne Dritter bei den Weltmeisterschaften im Doppelvierer, nachdem er als Junior 2005 die WM im Doppelzweier gewann und 2006 die im Einer. Es folgten bis 2015 drei weitere Podiumsplatzierungen bei Welt- und Europameisterschaften sowie der WM-Titelgewinn 2015 im Doppelvierer und 2016 dann olympisches Gold. Tokio zum Schluss, das war und ist beschlossene Sache.

Beim in diesem Jahr der Corona-Pandemie zum Opfer gefallenen Großereignis hofft Gruhne nun 2021 dabei zu sein. Die Chancen stehen nicht schlecht. Er gehört wieder dem Doppelvierer an, den der Deutsche Ruderverband (DRV) ins Wasser schicken wird und der, wenn möglich den Titel des Jahres 2016 verteidigen soll. Einfach wird das nicht, zumal die Konkurrenten aus Holland zuletzt bei den Weltmeisterschaften technisch eine so überzeugende Leistung ablieferten, dass auch Olympia-Gold wohl nur über sie führen wird. „Ein Abschied mit einer Medaille“, egal welcher, lautet für Gruhne daher das große Ziel. Dafür bedarf es natürlich auch noch einer Menge Arbeit.

Für die Familie bedeutet das weiterhin, lange ohne den Vater auszukommen. Ob die EM im polnischen Posen am zweiten Oktoberwochenende stattfinden wird, ist derzeit noch unklar. Ab November stehen dann aber wieder vier rund zweiwöchige Trainingslager an. Damit verbunden sind viele Reisen, vorwiegend nach Portugal. Zudem wird sich Gruhne mit den Kollegen am Bundesstützpunkt Ratzeburg, rund eine Autostunde nordöstlich von Hamburg, fitmachen. Und immer mal wieder wohl auch beim RCN. „Es wäre toll, wenn er hier sesshaft würde und in Nürtingen vorbeischaut“, sagt Andreas Keller.

Hans Gruhne hofft nun erst einmal, dass die nächsten Olympischen Spiele im kommenden Jahr ausgetragen werden können, um die Karriere danach auch wirklich zu beenden. Denn, den Schlussstrich nach nunmehr fast 19 Jahren als Ruderer sehnt er herbei, das macht er immer wieder unmissverständlich klar. „Das viele Reisen hat mich nie gestört und mit Anfang, Mitte 20 fand ich das auch cool. Aber jetzt mit Familie – das ist eine andere Nummer“, sagt er.

02.09.2020 || Bericht: Jens S. Vöhringer || Foto: Jürgen Holzwarth / Nürtinger Zeitung

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