Rehabilitation am Genfersee

Nein – dies ist kein Kur- oder Wellness-Bericht, der sich in den Sportteil verirrt hat, sondern ein Regattabericht, dessen Titel von den Vorkommnissen bei der letztjährigen Genfersee-Regatta inspiriert wurde. Damals glitt dem Team des Langstreckenspezialisten Matthias Auer vom RC Nürtingen nach einem sehr souveränen Rennen der sicher geglaubte Sieg des 160km-Ruderrennens aus den Händen: Auf den letzten 20 km waren die Bootaufbauten und Pumpen der aufgepeitschten See nicht mehr gewachsen gewesen. Ein Sinken konnte mit viel Mühe und Schöpfarbeit verhindert werden, aber mehr als ein zweiter Platz war nicht mehr zu retten. Mit dem festen Vorsatz, es beim nächsten Mal besser zu machen und sich für die gefühlte Niederlage zu rehabilitieren verließ man vor einem Jahr die Stätte der Schmach…
Wie immer lud die Société Nautique de Genève (SNG) auch in diesem Jahr fürs letzte Septemberwochenende zur 41sten „Tour du Léman à l’aviron“ ein. Im Gegensatz zum von widrigen Wetterbedingungen beeinträchtigten 2012er Rennen stand die diesjährige Veranstaltung unter einem besseren Stern. Tagestemperaturen um 20°C, hochnebelartige Bewölkung und nur leichter Wind aus wechselnden Richtungen sorgten für gute Ruderbedingungen, die, im Gegensatz zum letzten Jahr, wieder eine komplette Seeumrundung und schnelle Zeiten zuließen. Die extremen Verhältnisse des Vorjahres waren vermutlich der Grund für das eher übersichtliche Meldeergebnis: nur 18 anstelle des Maximums von 25 Teams mit Ruderern aus 6 Ländern stellten sich in gesteuerten Vierer-Booten dieser ultimativen Langstrecken-Herausforderung entlang der Uferlinie des zweitgrößten Sees Mitteleuropas. Darunter war auch die Renngemeinschaft mit Matthias Auer. Er trat mit Kameraden aus Bonn, Cannstatt, Hamm und Mainz an, allesamt alte Weggefährten, mit denen schon so manche (Wasser-)Schlacht geschlagen worden war. Als Halter des Streckenrekords – 4 der 5 Ruderer waren bei der Rekordfahrt in 2011 dabei – war man einmal mehr in einer Favoritenrolle. Allerdings gingen 2 weitere Renngemeinschaften aus Neuwied und Köln sowie Bonn, Cannstatt und Karlsruhe an den Start. Diese waren durch Zusammenschluss von Leistungsträgern erfolgreicher Teams entstanden und stellten sehr ernst zu nehmende Konkurrenz dar. Daneben war auch das auf einer Position verjüngte Team der Vorjahressieger aus Ludwigshafen nicht zu unterschätzen. So war das Rennen zwar in der Breite eher spärlich besetzt, wies in der Spitze jedoch bemerkenswerte Qualität auf. Also alles andere als ein Selbstläufer für Auer und seine Kollegen.
Mit dem Startschuss am Samstag um 8:00 Uhr entwickelte sich zunächst ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Ludwigshafen, Neuwied/Köln und dem Team mit Nürtinger Beteiligung; Bonn/Cannstatt/Karlsruhe folgte etwas dahinter mit ebenfalls deutlich höherer Geschwindigkeit als das Hauptfeld, ohne zunächst nicht im Kampf um die Podiumsplätze einzugreifen. Ludwigshafen fiel als erstes etwas zurück, während sich Auer und Co. nach etwa 5 Kilometern langsam aber stetig vom zunächst härtesten Verfolger Neuwied/Köln absetzen konnte. Ein desorientierter Streckenposten, der seinen mobilen Kontrollpunkt bei Nyon 1,5 km abseits der GPS-Koordinaten bezogen hatte, ließ das vordere Feld wieder näher zusammenrücken. Der gefahrene Umweg war für die überraschten Führenden deutlich größer als für die folgenden Boote, die, auf den scharfen Haken des Spitzenreiters reagierend, ihre Routen früher in Richtung Überraschungspunkt abändern konnten. So passierten die 4 Führungsteams nach 20 Kilometern perlschnurartig mit 1-Minuten-Abständen das Kontrollboot bei Nyon. Mit Wut im Bauch ob des deutlich geschrumpften Vorsprungs erarbeitete sich das Favoritenboot in der Folge schnell wieder eine deutliche Führung. In Rolle nach knapp 2,5 Stunden Ruderzeit betrug der Vorsprung vor den mittlerweile nächsten Verfolgern aus Ludwigshafen bereits wieder 3 Minuten. Während sich die beiden zunächst härtesten Verfolger im Kampf um den zweiten Platz aufrieben und schließlich nach 45 Kilometer beide vom lachenden Dritten des Duells, der Rgm. Bonn/Cannstatt/Karlsruhe, passiert wurden, konnte das Team um Auer den Abstand bis zur Halbzeit des Rennens am See-Ostende auf mehr als 7 Minuten ausbauen. Das Wunschziel war zu diesem Zeitpunkt noch, einmal mehr die 12-Stunden-Barriere zu durchbrechen, was bei der Tour du Léman bis dato erst 3 Teams gelungen war. Weitere 4 Stunden später war beim Passieren von Yvoire allerdings klar, dass diese Vorgabe auf den letzten 22 km nicht mehr erreicht werden konnte. So brachte man das Rennen mit dem Wissen des sicheren Sieges routiniert zu Ende, ohne ganz an die Grenzen gehen zu müssen. Nach 12:06:29 Stunden ertönte der Ziel-Böllerschuss zu Ehren des siegreichen Teams. Die Zeit war immerhin die fünftschnellste in der 41-jährigen Regattageschichte. Bonn/Cannstatt/Karlsruhe mit 2 weiteren Ruderkameraden Auers an Bord brachte in 12:20:07 Stunden den 2. Platz ins Ziel und rettete noch 2:14 Minuten Vorsprung vor der zuletzt stark aufkommenden Renngemeinschaft Neuwied/Köln. Ludwigshafen hatte das hohe Anfangstempo nicht halten können und lag zuletzt deutlich mit fast 43 Minuten hinter den Siegern zurück.
Nach dem letztjährigen Drama konnte sich das Team um Matthias Auer erfolgreich rehabilitieren. Nach der Siegerehrung und dem Abschlussbankett am Sonntag wurden schon die Weichen für die Zukunft gestellt und die Voranmeldung für die Genfersee-Regatta 2014 eingereicht. Dann wird das Siegerteam die Voraussetzung für einen Start in der Masters-Klasse (Mindestdurchschnittsalter 40 Jahre) erfüllen. Und für das Ziel, neben den Rekorden in der offenen Männer- und der Mixed-Klasse auch noch jenen der Masters-Klasse sein Eigen zu nennen, wird der RCN-Ruderer bis dahin noch die eine oder andere Neckarlänge absolvieren…

Das Siegerboot (v.l.n.r.) mit Markus Neumann (Mainzer RV), Christian Klandt (Bonner RV), Matthias Auer (RC Nürtingen), Jochen Betten (Stuttgart-Cannstatter RC) und Henning Osthoff (RC Hamm). © Gloria Roller

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