Nürtinger Masters-Vierer überrascht in Varese

Vom 5. bis 8. September trafen sich im norditalienischen Varese mehr als 3300 Ruderer zur diesjährige World Rowing Masters Regatta. Bei diesem weltgrößten Ruderwettkampf traten Athleten aus 40 Nationen in etwas über 11.000 Booten auf dem Vareser See gegeneinander an.
Mit dabei waren auch vier Masters-Ruderer des Nürtinger Ruderclub (RCN).

Eine Besonderheit dieser viertägigen Regatta ist, dass nicht in Vorläufen und Halbfinals die Finalteilnehmer ermittelt werden, sondern jeweils bis zu acht Boote einer Altersklasse gegeneinander die 1.000 m Strecke im direkten Vergleich fahren. Keine zweite Chance also, einen verpatzten Start oder eine Bojenberührung oder andere Fehler auszugleichen. Es gilt in diesem Moment alles abzurufen, was im Training tausende Male geübt wurde. Da alle Teilnehmer älter als 28 Jahre sein müssen (Masters) sollte man davon ausgehen, dass genügend Zeit zum üben war. Aber hier zeigt sich eben das Knifflige am Rudern, nämlich die Koordination dieser komplexen Bewegung optimal ablaufen zu lassen und zwar auch dann, wenn der Körper bereits „aufhören“ signalisiert.

Dieser Herausforderung haben sich im 4er ohne Steuermann der Altersklasse C (43- bis 50-jährige) die RCN-Sportler Andreas Keller, Gerhard Kehl, Martin Fouqué und Gisbert Zahn gestellt. Das „Projekt Varese“ startete vor ziemlich genau einem Jahr, nämlich direkt nach dem krankheitsbedingt schlechtem Abschneiden auf den World Rowing Masters 2012 in Duisburg. Kontinuierliches Training an drei bis vier Tagen in der Woche über ein Jahr hinweg war der Einsatz, den die vier Nürtinger in die Waagschale werfen konnten.

Mit der für Ruderer eher durchschnittlichen Körpergröße der RCN-Mannschaft ist in diesem Umfeld kein „Blumentopf“ zu gewinnen, also mussten andere Erfolgsfaktoren wie Technik und Spritzigkeit bemüht werden. So startet die Nürtinger Crew stets in der technisch anspruchsvollen Bootsgattung, dem 4er ohne Steuermann. Nach dem letzten viertägigen Trainingslager in Füssen, zwei Wochen vor Varese, war nun alles getan was möglich war. Nun am 6. September würde man also sehen, was dies wert sein würde. Für die Schönheit der Landschaft rund um diesen Oberitalienischen See hatten die vier Masters um 18:40 Uhr keinen Blick. Der Fokus lag auf ca. 110 Ruderschlägen, die auf die am Start liegenden Nürtinger warteten. Neben ihnen lagen die Boote aus England, Spanien, Schweiz, Italien, München und Brasilien. Kurz vor dem Start, an den Startnachen liegend, ist es meist sehr ruhig und die Konzentration ist knisternd hörbar. Dies löst sich erst, wenn der immer überraschende Startschuss in Form eines Hupsignals nebst dem optischen Signal einer auf grün springenden Ampel die Ruderer von der Anspannung erlöst. Die Nürtinger sind stets sehr gute Starter und konnten sich auch in diesem Rennen sofort an die Spitze des 7-Bootefeldes setzen. Nach den fünf Startschlägen folgen zwanzig Ruderschläge unter Einsatz der maximal vorhandenen Kraft. Im Anschluss versuchen die Sportler dann in einen Streckenschlag überzugehen, den sie dann auch einige Zeit halten können. Dieser Übergang gelang den Vier genauso gut wie der Start und so waren die ersten beiden Hürden gut genommen. Immer noch führend hieß es nun die Schlaglänge konsequent beizubehalten, auch dann, wenn der Körper nach und nach signalisiert, dass ihm das hier eigentlich alles zuviel ist. Nach gut sechshundert Metern, immer noch in Führung liegend, starteten dann das schweizerische sowie das englische Boot zeitgleich einen Angriff, den die Nürtinger aber gut parieren konnten. Damit war das Pulver der beiden vermeintlich größten Gegner verschossen und bei den Nürtingern kam langsam das Gefühl auf, dass hier und heute etwas Großes möglich wird. Aber wie immer sollte man sich nicht zu früh freuen, denn angespornt von den italienischen Fans auf der nun beginnenden Tribüne, kamen nun die Italiener nochmals mächtig auf. Nun war doch noch ein Schlussspurt erforderlich um sicher den Sieg nach Hause zu fahren. Tatsächlich war die Mannschaft in der Lage auf den letzten 150 Metern die Schlagzahl nochmals zu erhöhen und das Rennen doch mit einer halben Bootslänge auf Italien zu gewinnen. Der übergroße Jubel im Boot steckte dann auch die Tribüne an und bei der Übergabe der Medaillen am Siegersteg gab es für die vier ausgiebigen Applaus; das „Brot“ des Sportlers.

Wie schwer es ist, so einen Erfolg einzufahren, musste die Nürtinger Crew gleich am nächsten Tag feststellen. Hier starteten sie in der jüngeren Altersklasse der 35- bis 42-jährigen. Auch hier gelang der Start sehr gut und die vier konnten zunächst in Führung gehen. Aber nach ca. 300 Metern begann das Boot nicht mehr die Spur zu halten und fuhr in die Bahnbegrenzung. Technisch ist dies kein Problem aber die Konzentration und somit das „Gemeinsame“ wurden empfindlich gestört. Bis sich die Nürtinger wieder gefunden hatten, waren die Mannschaften aus Schweden, Finnland und Argentinien vorbeigezogen. Dies war auch nicht mehr aufzuholen und so wurde es ein vierter Platz noch vor den Booten aus England und aus dem Ruhrgebiet. Nach kurzem Ärger über die eigene Leistung erinnerten sich die Nürtinger dann aber wieder an Ihren Vortageserfolg und zogen letztlich eine überaus positive Bilanz.

Martin Foqué, mit 42 Jahren der Youngster unter den Nürtingern, hatte noch etwas Energie übrig und fuhr noch ein beherztes Einerrennen. Erst nach der Hälfte der Strecke musste er drei der sieben Konkurrenten ziehen lassen um als zufriedner Vierter die Ziellinie zu überfahren.

Mit solch guter Bilanz der diesjährigen World Rowing Masters Regatta fuhren die Nürtinger wieder nach Hause. Hier wurden Sie mit einem eiligst gefertigten Plakat am Ruderclub-Gebäude, Häppchen und Sekt empfangen - eine gelungenen Überraschung, die die vier erschöpften Masters sichtlich rührte. So nähert sich für den RCN eine sehr erfolgreiche Regatta-Saison 2013 mit vielen Titeln landes-, bundes- und weltweit in allen Altersklassen der 12- bis 50-jährigen seinem Ende.

Auf dem oberitalienischen Vareser See gelang dem Nürtinger Vierer mit Andreas Keller, Gerhard Kehl, Martin Fouqué und Gisbert Zahn (von links) ein toller Sieg.

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