Eine Auszeit in Istanbul ...

Eine Auszeit in Istanbul hatte ich bereits geplant, als ich an meiner Master Arbeit saß. Details waren offen geblieben. So auch wie ich mich fit halten wollte, während ich bei gutem Wetter durch die Metropole Istanbul reisen und bei schlechtem Wetter Bewerbungen schreiben würde.
Nach reichlicher Recherche und Experimenten war die Entscheidung schnell gefallen: Ich muss Rudern.

Mit Hilfe einer Google-Suche konnte ich zwei Ruderclubs ausfindig machen; beide in der Haliç, der Bucht die im Westen als das „Goldene Horn“ bekannt ist.

Im ersten Ruderclub, den ich unangekündigt besuchte, war keiner da. Dank der Angestellten im Café, das an der Küste lag, konnte ich aber herausfinden, dass im Winter weiterhin gerudert wird - aber immer morgens um 6 Uhr. Da die Sonne erst um 8 Uhr aufgeht, konnte ich mir das nur schwer vorstellen. Bei uns wird ja immer nur bei Helligkeit gerudert... Mit dieser Information zog ich die Küste entlang zum nächsten Ruderclub der offen hatte. Er lag auf dem Gelände der Bilgi Universität, ganz am Ende der Bucht. Überglücklich trat ich ein und klärte die Bedingungen. Dabei stellt sich heraus, dass ich nicht weiter als 800 Meter hinaus fahren dürfe. Ich fühlte mich wie vor den Kopf gestoßen. 800 Meter, die halbe Nürtinger Strecke... Wie oft muss ich da wohl hin und her fahren, bis ich 12 km zusammen habe? Ich sagte, dass ich "es mir nochmal überlegen möchte" und ging. Daheim angekommen suchte ich die Homepage der Türkischen Ruder Federation, wo eine Liste mit allen Clubs zu finden ist.

Anders als in Deutschland gibt es in der gesamten Türkei nur circa 40 Clubs. Davon ist selbstverständlich der Großteil in Istanbul. Wenn man es anschließend auf diejenigen Clubs eingrenzt, die im europäischen Teil Istanbuls beheimatet sind, bleiben noch eine Handvoll. Darunter sind Vereine wie Fenerbahçe und Galatasaray, die sich aber ihre Sportler aussuchen und nicht anders herum. Dann gibt es noch die Universitätsmannschaften, für die man leider an der jeweiligen Uni eingeschrieben sein muss.
Trotzdem habe ich allen eine Mail geschrieben, mit der Adresse der Ruder-Federation im CC. Nachdem nach drei Tagen immer noch keine Antwort gekommen war, machte ich mich ungeduldig vor lauter Sportmangel auf den Weg zum Sitz der Ruder-Federation Istanbul. Dort angekommen stand ich vor einem gewöhnlichen Hochhaus; an der Klingel stand nichts von einer Ruder-Federation. Nach einem kurzen Anruf stellte sich heraus, dass der Eingang nebenan war.
Als ich mit der Sekretärin dort sprach, sagte sie mir, mein Türkisch sei "merkwürdig" und woher ich eigentlich komme. Als ich sagte, dass ich aus Deutschland sei, unterhielten wir uns nur noch auf Deutsch: Sie kam vor Jahren selber aus Deutschland in die Türkei und wollte über Weihnachten Stuttgart besuchen. Vom warmen Land ins kältere... Nachdem ich ihr ein paar nette Plätze in der Umgebung Stuttgarts empfohlen hatte ging es ans Eingemachte.
Sie teilte mir mit, dass der Leiter der Federation zufällig da sei und stellte mich ihm vor. So konnte ich ihm mein Anliegen schildern. Anschließend griff er gleich zum Hörer und rief den Leiter des Altınboynuz S.K. Clubs, Burak Hoca, an, um ihn auf mein Kommen vorzubereiten. Auch ein bevorstehender Ergo Cup wurde angesprochen, aber leider war die Anmeldefrist bereits vorüber.

Noch auf dem Heimweg rief ich sogleich Burak Hoca an. Er sagte mir, ich könne bereits am nächsten Tag kommen - zwischen 6.30 Uhr und 7 Uhr morgens. Mit 1,5 Stunden Anfahrt bedeutete das, zwischen 5 Uhr und 5.30 Uhr aus dem Haus zu gehen.
Dort angekommen sah ich, wie die dortigen Ruderer schon früh morgens aufs Wasser gingen. Es wurden provisorische Leuchten am Boot angebracht oder einfache Stirnlampen aufgesetzt. Anschließend wurden meine bisherigen Rudererfahrungen abgefragt, die Fahrtordnung erklärt und danach durfte ich gleich mal im Einer aufs Wasser. Blöderweise haben Hochsee-Boote keine Schuhe im Boot. Da ich mit meinem Schuhwerk nicht ins Boot kam, musste ich die erste Fahrt in Socken antreten. Nach der Fahrt war mir eisig kalt und ich zitterte, konnte aber einer Erkältung entgehen. Klares Zeichen dafür, dass ich Schuhe brauchte. Die erste Fahrt ging auch nicht lange, vorbei am Haliç Kongresszentrum und Eyüp Moschee bis zu Miniatürk und wieder zurück.

Das Boot selber ist kentersicher, aber über den Wirkungsgrad habe ich mir nicht allzu viele Gedanken gemacht. Man hat schließlich sehr viel Wasserkontakt... Das Boot ist am Ende „offen“, vermutlich damit man leichter Wasser aus dem Boot bekommt, da es auf hoher See sehr, sehr wellig werden kann. Generell ist das Boot recht stabil gebaut.

Für 35 türkische Lira, umgerechnet 8€, habe ich mir dann neue Adidas Sneaker „Ruderschuhe“ besorgt. Damit konnte ich anschließend bis zum Ende der Bucht vorstoßen, insgesamt circa 6 km Strecke. Da der Ruderclub „mitten“ in der Bucht liegt, besteht auch die Möglichkeit, aus der Bucht Richtung offenes Meer zu fahren; wobei man das, wenn überhaupt, eher in Mannschaftsbooten macht, da der Verkehr Richtung offenes Meer immer weiter zunimmt.

Zum 1. Januar unternahm ich eine größere Tour, da an diesem Tag der Wasserverkehr gleich null war. Obwohl Neujahr in Istanbul nicht wie in Europa gefeiert wird, gab aber trotzdem für zwei Stadtteile Veranstaltungsverbote. Feiertage, an denen alles geschlossen ist, gibt es zum Jahreswechsel hier nicht. Gerade dann boomt das Geschäft. Zum Glück konnte ich die Stille auf dem Wasser nutzen um ein Video (YouTube Link weiter unten) der Strecke zu machen. Los ging es neben dem Rami M. Koç Museum, bei dem auch der Ruderclub der Koç Universität beheimatet ist. Von dort ging es in Richtung Ende der Bucht. Rund um die Bucht gibt es sehr viele Sehenswürdigkeiten zu sehen. Chronologisch folgt dabei immer auf Steuerbord, welches im Türkischen einfach nur „Links“ heißt, zuerst das Haliç Kongresszentrum. Bei der Vorbeifahrt sieht man am Ufer gegenüber Teile der alten theodasischen Landmauer mit einer türkische Flagge darauf. Ihr folgt ein Park mit einer Statue von Manas, einem Kirgisischem Volkshelden. Daran schließt das "Miniatürk" an, in dem Istanbul mit all seinen Sehenswürdigkeiten in Miniaturgröße nachgebaut wurde. Es folgt ein weiterer Park, bevor die Bucht mit der Bilgi Universität endet, auf deren Gelände das erste Osmanische Kraftwerk „SantralIstanbul“ steht. Das SantralIstanbul wurde in einem Großprojekt von der Universität restauriert und in ein Museum umgewandelt.

Auf dem Weg zurück kommt man an Parks und Inseln vorbei, welche nachträglich durch die Abfälle von Ställen und Industrieanlagen entstanden sind. Früher waren in der Bucht sehr viele Werften und es wurde viele Ware mittels Booten transportiert. Nach den Inseln folgt der Stadtbezirk Eyüp, der nach dem gleichnamigen Gefolgsmann des Propheten Mohammed benannt ist und der an Eyüp Moschee auch sein Grab hat. In diesem Stadtteil befindet sich auch auf dem Hügel neben der großen türkischen Flagge das Piere Lotti, welches nach einem mir nicht bekannten Dichter benannt wurde. Es beherbergt auch Cafés, die mit einem Blick auf die Bucht locken.
Weiter fährt man an einem neuerlichen Kongresszentrum namens "Feshane" vorbei das aus dem Jahre 1826 stammt. Zudem sieht man teilweise Stücke der alten Galata-Brücke die inzwischen durch eine deutsche Neukonstruktion ersetzt wurde.

Nach einem weiteren guten Stück folgt die St. Stefan Kirche; die erste Kirche die aus Metall gebaut wurde. Weiter oben ragt unübersehbar das griechisch-orthodoxe Gymnasium in die Höhe.

Nun kann man die Bucht weiter in Richtung Bosporus fahren. Nach der Wende sieht man dann hier, leider gegen die Sonne, den Galataturm, der auf dem linken Hügel in die Höhe ragt und während der Wende hinter dem Kran ist, den Topkapi Palast auf dem rechten Hügel ganz links mit der Hagia Sophia daneben sowie weitere große Moscheen. Auf dem Hügel ist auch die Beyzit Kulesi, die wie der Galata Turm auch eine Zeitlang verwendet wurde, um Feuer in der Stadt schnell sehen zu können. Bei gutem Wetter soll man von hier bis zum schwarzen Meer am anderen Ende des Bosporus sehen können. Istanbul ist wie Rom auf sieben Hügeln entstanden und auf jedem der Hügel steht immer eine große Moschee mit tollen Aussichten auf die Stadt. Wenn man näher an die Brücke heranfährt, an der ich wendete, sollte man auch ein Aquädukt finden, dass noch im frühen 20. Jahrhundert in Benutzung war und neben der Hagia Sofia sowie dem Galataturm auch noch aus byzantinischer Zeit stammt. Am anderen Ufer ist ein Militärkrankenhaus, das sich in einem historischen Gebäude auf einem Militärsperrgebiet befindet.

Auf der Rückfahrt kommt man am Rami M. Koç Museums wieder auf die andere Seite und sieht verschiedene Sammlerstücke wie Fahrzeuge und Boote ausgestellt, zum Schluss sogar auch ein U-Boot.

Am Steg mit Teilen der Landmauer im Hintergrund

Blick von Eyüp. Links der Galataturm, Topkapi Palast in klein mit dem Turm der Gerechtigkeit, Hagia Sofia, daneben ragt schwach das Istanbuler Gymnasium heraus, an dem seit über 100 Jahren auch deutsche Lehrer unterrichten. Daneben erkennt man schwach die sechs Minarette der Blauen Moschee und weiter nach rechts sieht man die Nuruosmaniye Moschee, die Sülemaniye Mosche, Beyazıt Kulesi und die Sehzade Moschee

Blick vom Wasser auf das Rami M. Kos Museum

Blick vom Galataturm in die Bucht

Blick von Eyüp auf die Ruderstrecke bei der es hinter der Brücke losgeht

Karte zur Lage der Bucht

Karte mit der Ruderstrecke

Videos zur: Tour durch die Bucht

09.02.2018 // Bericht: Semih Aydin // Fotos: Semih Aydin

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