Stein-reich in nur 5 Stunden

Keine Vorstellung über die möglichen Konsequenzen machte sich der Breitensport-Ressortleiter des Ruderclub Nürtingen, Patrick Plagge, als er die Frage „hättest Du Lust, mal den schönsten Abschnitt des Rheins zu berudern“ leichtsinnigerweise mit „ja – warum nicht“ beantwortete. Leichtsinnigerweise deshalb, weil die Frage von Club-Kamerad Matthias Auer gestellt wurde, dem RCN-Mann fürs Extreme. Die vermeintlich nette Einladung zu einer Wanderfahrt stellte sich im weiteren Gespräch als knallharter Anwerbe-Versuch für die Europäischen Rhein-Regatta (EUREGA) heraus. Irgendwie schon eine Art Wanderfahrt, nur halt etwas ambitionierter auf Zeit – und nicht mit anderen „Wanderfahrern“, sondern gegen selbige. Schlussendlich resultierte aus diesem Gespräch das Novum von zwei Nürtinger Langstreckenregatta-Teilnehmern.
Die immer am ersten Mai-Wochenende stattfindende EUREGA ist ein Fix-Termin in den Kalendern der meisten Langstreckenruderer. Auch in ihrer 22. Ausgabe lockte die Veranstaltung wieder die maximal zugelassene Anzahl von 75 Mannschaften mit ihren gesteuerten Vierer-Ruderbooten an. Von diesen wagten sich 20 Team auf die 100 km lange Strecke von der Loreley nach Bonn, während sich die restlichen Mannschaften auf der 45km-Strecke von Neuwied bis zum Steg des veranstaltenden Bonner Rudervereins maßen. Bei freundlichen äußeren Bedingungen nahmen Plagge und Auer zusammen mit Ruderkameraden aus Cannstatt und Hamm die längere Streckenversion in Angriff. Störend war allenfalls der teils auffrischende Wind aus westlichen bis nordwestlichen Richtungen, der keine ganz schnellen Zeiten zulassen sollte und die anspruchsvollen Ruderbedingungen auf Deutschlands meistbefahrener Wasserstraße abschnittsweise zusätzlich erschwerte.
Die Renngemeinschaft mit Nürtinger Beteiligung ging als letztes Boot der offenen Männerklasse bzw. des gesamten Starterfelds ins Rennen und hatte somit den Luxus, die ganze Gegnerschaft im Blick zu haben. Von den klassenrelevanten sechs gegnerischen Teams, die alle innerhalb von 1,5 Minuten gestartet waren, wurden die zwei aus Leipzig, jenes aus Niederkassel und das der Renngemeinschaft Bonn/Hamburg schon auf den ersten Kilometern eingeholt und überholt. Deutlich mehr Gegenwehr boten die EUREGA-Neulinge der RG Grünau aus Berlin, die zwar mit großem ruderischen Potential ausgestattet waren, jedoch mit der ein oder anderen Rhein-spezifischen Widrigkeit und ihrer Unerfahrenheit zu kämpfen hatten. Mit dem stärksten Gegner der offenen Männerklasse, einer Renngemeinschaft des ARC Rhenus Bonn und des Kölner Club für Wassersport, entbrannte nach einem Drittel der Strecke ein heißer Kampf. Im Rahmen dessen wurden die letzten noch nicht überholten Boote der teils deutlich früher gestarteten Kategorien (Frauen, Mixed, Masters und Riemen) passiert. Bei der Durchfahrt am Start der 45 km-Strecke in Neuwied hatten die Rheinländer noch knapp die Nase vorn. Die nächsten 10 km waren durch sehr geringen Abstand und einen längeren Bord-an-Bord-Kampf geprägt, in dem sich die Teams nichts schenkten. Nach etwa 65 km konnte die Mannschaft von Plagge und Auer dann bei/nach einem Steuermannswechsel der Rgm. Bonn/Köln so viel Wasser zwischen die Boote bringen, dass Letztere beim eigenen Steuermannswechsel nicht mehr herankamen. Das Rennen war an dieser Stelle entschieden! Mit diesem psychologischen Vorteil fuhr die nord-süddeutsche Renngemeinschaft anschließend den Sieg souverän und mit vergrößerndem Abstand nach Hause. Im Ziel betrug der Vorsprung schließlich 3:16 Minuten, nach einer Gesamtruderzeit von 5:09:48 Stunden. Die wackeren Grünauer beendeten die Regatta als Dritte, fast genau 10 Minuten nach dem Siegerteam. Die letzten Teams kamen 1,5 Stunden später ins Ziel.
Die Siegerpreise der EUREGA sind ebenso originell wie individuell: schwere Basaltsteine mit aufgebrachten Plaketten, jeder für sich ein Unikat. Das Team der beiden RCN-Ruderer wurde auf dem Siegerpodest gleich mit deren drei beschert: einen für den Klassensieg „Männer offen“, den Wanderpreis für den Gesamtsieg, der vom Veranstalter zum Zwecke der Gravur einbehalten wird, sowie einen Gesamtsiegerpokal zum Mitnehmen. So schnell kann man Stein-reich werden, und das im wahrsten Sinne des Wortes! Dem (breiten-)sportlichen Grundgedanken entsprechend ließ man die Ruderveranstaltung schließlich zusammen mit dem Hauptkonkurrenten auf der Dachterrasse des ARC Rhenus Bonn ausklingen und beschloss den erfolgreichen Tag standesgemäß mit einem großen Feuerwerk, dessen Ursache freilich eine andere war („Rhein in Flammen“).

Patrick Plagge ( links ) und Matthias Auer ( 2. v.l. ) mit ihren Partnern aus Cannstatt und Hamm
bei der 'steinigen' Siegerehrung

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